Veröffentlichung:
Niedergeschrieben vom Niederreuther Gastwirt Hermann Adler in den 1950er Jahren
Ascher Rundbrief 2005/2006
Infolge der im Jahre 1944 immer näher heranrückenden Front über die Karpaten wurden auch deutsche Siedler in der Slowakei evakuiert und einige Familien davon der Gemeinde Niederreuth zur Unterbringung zugewiesen. Sie wurden zunächst in der Schule und später privat untergebracht.
Auch im Raume Ostdeutschlands drangen die russischen Armeen bei unzulänglichem Widerstand durch die deutschen Truppen unaufhaltsam vor, was ebenfalls die Evakuierung dieser Gebiete zur Folge hatte. Durch das Oberkommando der Wehrmacht wurden die Bewohner veranlasst, diese Gegenden zu räumen und nach Westen zu flüchten. Dies geschah in der Weise, dass viele dieser Bewohner ihr nötigstes Hab und Gut auf Fuhrwerke, soweit sie solche im Besitz hatten, verluden und sich, mit Lebensmitteln und Futtervorräten für die Pferde in so genannten Trecks zusammengeschlossen, nach Westen mit unbestimmten Zielen in Bewegung setzten.
In unsere Heimat kamen diese Flüchtlinge anfangs Februar 1945 aus Schlesien, wovon der Gemeinde Niederreuth ca. 300 Personen zur Unterbringung zugewiesen wurden. Das Schulhaus und die drei Gasthäuser wurden mit diesen Flüchtlingen belegt. Die Verpflegung hatten die Gasthäuser gegen geringe Entschädigung übernommen, wozu ihnen die notwendigen Lebensmittelkarten ausgehändigt worden waren. Die Zustände in den Massenquartieren in der Schule und in den Gasthäusern wurden durch zunehmende Einquartierung in Privathäusern erträglicher gemacht. Dadurch war auch unser Gastzimmer wieder frei und es konnte dort der Schulunterricht gehalten werden. Wir hatten aber weiterhin zwei Familien einquartiert.
Durch das Zurückfluten der deutschen Front, die im Westen bereits bis in den Raum Hof zurückgedrängt war, kamen auch schon deutsche Abteilungen in den Ascher Kreis.
Im Jahre 1944 waren viele deutsche Städte den unaufhörlichen Luftangriffen der Westmächte ausgesetzt. Solche Luftgeschwader nahmen ihren Weg bei Tag und Nacht auch über Asch und Niederreuth. Bei Nacht erzeugten sie ängstlich schaurige Gefühle, wogegen sie bei Tag und klarem Himmel ein wundersames Schauspiel darstellten und nur der Gedanke, dass die Geschwader Tod und Verderben mit sich führten, erregte Angst und Schrecken. Die großen Bomber, umgeben von kleinen Jagdflugzeugen, schimmerten silbern hoch am Himmel und die nachfolgenden Kondensstreifen ließen die Richtung ihres Angriffszieles erkennen. Die Detonationen der abgeworfenen Bomben auf die Städte Eger und Plauen erschütterten selbst in unserem geschützt, rings von Bergen umgebenen Ort, Türen und Fenster und bei Nacht waren die Ziele der Angriffe durch den Feuerschein der riesigen Brände leicht festzustellen. Selbst die Angriffe auf die Städte Pilsen, Brüx und Chemnitz konnten in unserem Ort noch wahrgenommen werden.
Am 11. April 1945 warfen feindliche Flugzeuge Bomben über Asch ab, wobei die Fabrik Schmidts Witwe in Brand geschossen wurde und am Stadtbahnhof und der Aktienbrauerei beträchtliche Schäden entstanden.
Die näher rückende Front war durch vernehmbares Geschützfeuer zu erkennen. Anfang April kam eine Abteilung der SS-Polizeitruppe nach Niederreuth unter dem Kommando eines Majors und nahm vorübergehend in den Gasthäusern Quartier. Die Soldaten waren neu und kriegsmäßig ausgerüstet und rückten nach vier Tagen über Asch, Adorf und Markneukirchen wieder ab. Während dieser Zeit hatte ein Wachposten zwei russische Gefangene aufgegriffen, die dem Lager in Asch entsprungen waren und sie dem SS-Kommandanten gemeldet. Dieser verfügte die sofortige Erschießung der beiden Flüchtlinge. Zwei SS-Soldaten führten sie auf dem Weg hinter die Riedel-Mühle bis an den Wald. Dort mussten die Flüchtlinge ein Grab ausheben und wurden erschossen. Nach dem Einzug der Tschechen im Ascher Kreis wurde dieser Fall wieder aufgegriffen. Da die beiden Flüchtlinge nur oberflächlich verscharrt waren, konnte die Stelle leicht gefunden werden und Mitglieder der NSDAP mussten die Erschossenen ausgraben und auf dem Ortsfriedhof beerdigen.
Am 18. April war ich noch einmal in Asch, um Brot einzukaufen. Auf dem Weg vom Krankenhaus bis zur Einmündung der Straße nach Niederreuth konnte ich einen amerikanischen Flieger beobachten, der in niedrigem und fast geräuschlosem Flug das Gelände um den Hainberg nach etwaigen deutschen Stellungen absuchte. Scheinbar hatte er auch etwas entdeckt, denn kaum war ich beim Haus Jakob in der Niederreuther Straße, als auch schon in nächster Nähe in Richtung Leichenweg, in der Nähe des Hauses Preis Nr. 108, einige Granaten explodierten. Schleunigst trachtete ich aus dem gefährlichen Bereich herauszukommen, was mir auch gelang. Noch am gleichen Tag kamen deutsche Soldaten auf dem Rückzug nach Niederreuth, quartierten sich bei uns ein und besetzten die Höhe des Kleiberges, den Gürther und den Leitenberg. Ein deutscher Leutnant hatte in seinem Beobachtungsstand im Leithenwald eine Funkstation eingerichtet, um mit dem Nachhutkommando in steter Verbindung zu sein. Doch dem amerikanischen Beobachtungsflieger waren die deutschen Stellungen infolge ihrer Unvorsichtigkeit nicht verborgen geblieben und demzufolge begannen die Amerikaner unseren Ort mit Artillerie zu beschießen. Hauptsächlich wurde der Huscherberg unter Feuer genommen. Die Einschläge lagen glücklicherweise meist zwischen den einzelnen Gehöften und verursachten, außer der Aufregung, keinen besonderen Schaden. Im Zuge der weiteren Beschießung kam es jedoch an den Häusern Nr. 87 Flauger, 96 Wenzel Flauger, 14 Markus, 19 Ernst Goßler und 90 Adolf Goßler zu Gebäude- und Sachschäden. Ebenso wurde der Leithenwald und die Mulde Roglers Gründl stark unter Beschuss genommen, eigentümlicherweise aber nicht das obere Dorf. Gegen Wernersreuth lag der Mühlbühl und die Höhe des Zinnberges unter Feuer. Auch in Wernersreuth gab es Gebäudeschäden. Im sog. Kalkofen waren durch einen Volltreffer vier Tote einer Flüchtlingsfamilie zu beklagen. Die Häuser von Lorenz Pfeiffer und Künzel an der Straße über den Zinnberg wurden ebenfalls durch Treffer beschädigt.
Wenn sich die Ortsbewohner und Flüchtlinge während des Fliegeralarms auch keiner besonderen Vorsicht befleißigten, so verursachten doch die täglich sich wiederholenden Beschießungen große Aufregung im Ort und jeder noch so primitive Schutzraum wurde als Zufluchtsstätte aufgesucht, um nicht zu Schaden zu kommen. Unser großer Bierkeller war während der Beschießung durch Nachbarn und Flüchtlinge immer voll besetzt, weil dieser tief in den Hang hinein gebaute Keller genügend Raum und besten Schutz gewährte. Von unserem Vorkeller aus konnte man übrigens die Granateinschläge am Huscherberg gut beobachten, ohne gefährdet zu sein.
Die deutschen Nachhutverbände setzten sich schließlich in Richtung Gürth-Raun ab. Am 20. April, gerade an Hitlers Geburtstag, wurde Asch ohne Kampf von amerikanischen Truppen besetzt. Vorwitziger Weise hatte ein Volkssturmmann in Nassengrub in der Nähe des Anwesens Lederer, einige Schüsse auf einen amerikanischen Panzer abgegeben, worauf das Anwesen Lederer in Brand geschossen wurde. Auch in Ella’s Wohnung (Anm.: Ella Wunderlich, Tochter von Hermann Adler, wohnhaft in Asch) hat ein Geschoss ein Fenster gegen die bayerische Seite durchschlagen und blieb in der gegenüberliegenden Wand stecken. Niederreuth wurde erst am 28 April in der Nacht von Amerikanern besetzt.
Am Nachmittag des 28. April wagten sich zwei amerikanische Spähwagen bis an die ersten Häuser heran, beobachteten den Ort und den Huscherberg oberhalb der Kurve hinter dem Haus Kogler Nr. 49 und fuhren schließlich sehr vorsichtig durch den Ort und den Berg hinauf bis zur Höhe nach Gürth, ohne auf Widerstand zu stoßen. Der Blick zum Rauner Berg war daher frei und sie kehrten wieder auf der Straße nach Asch zurück.
Da nun von Niederreuth keine Gefahr mehr’ ausging, rückte die amerikanische Vorhut am 27. April um 21.00 Uhr in unser Dorf ein und durchsuchte jedes Haus nach etwa noch versteckten deutschen Soldaten. Der nächste Tag, der Sonntag. 28. April 1945, brachte weitere Verstärkungen heran, darunter auch Panzerwagen. Unser Ort glich einem kleinen Heerlager, denn überall waren Soldaten einquartiert und die Hauseigentümer mussten selbst ihre Zimmer räumen, um die Soldaten unterbringen zu können. Vor unserem Haus waren die Fahrküchen aufgestellt und alle Räume waren voll belegt. Nach anfänglicher Zurückhaltung entwickelte sich aber recht bald ein reges Leben. Ortsbewohner und Flüchtlinge kamen zaghaft, aber neugierig herbei um eventuell einen langen entbehrten, fetten Brocken aus der amerikanischen Feldküche zu erhaschen. Und manche hatten dabei auch Glück, denn bei den Soldaten gab es keine Not an Nahrungsmitteln und alles war im Überfluss vorhanden. Nach drei Tagen rückten diese Truppen in Richtung Gürth - Brambach - Fleißen wieder ab. Die nachfolgende Truppe, die sich am 2. Mai in Niederreuth einquartierte, war eine Verpflegungs- und Nachschubkompanie. Diese stellte ihre Benzinkochöfen in unserem großen Gastzimmer auf und die Soldaten benützen die Waschküche als Spül- und Abwaschraum. Unser Haus war nun wiederum voll belegt, darunter auch ein riesiger Neger. Das große Gastzimmer war ganz als Küche eingerichtet. Da wurde gebraten, gebacken, gekocht und Fleisch transchiert. Vom Fleisch nahm man nur die guten Stücke ohne Knochen. Die Rippen, mit allem drum und dran, und alle sonstigen Teile mit Knochen wurden an die Flüchtlinge und Ortsbewohner verschenkt, worauf diese nach der langen Zeit der Entbehrungen sehnsuchtsvoll gewartet hatten.

Niederreuther Gasthaus Adler
Es gab aber auch einen ganzen Berg von Fleischkonservenbüchsen neben der Stiege, wo sonst immer die leeren Bierfässer lagerten. Alle übrigen Räume mit Ausnahme des Saales, in welchem die Firma Schmidt ein Warenlager hatte, waren mit Soldaten belegt und wir mussten samt den Flüchtlingen in der Nachbarschaft und in der Scheune für die Nacht Unterschlupf nehmen.
Wo Soldaten verkehren, wird vieles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest ist. So war es auch bei uns und nach dem Abzug der Truppen wurde manches vermisst. Andererseits waren die Amerikaner sehr freigebig und beschenkten die Kinder mit Schokolade und Süßigkeiten. Auch Lebensmittel, die sie im Überfluss hatten, gaben sie gerne ab. Für erwiesene Gefälligkeiten verschenkten sie gerne Rauchwaren bester Qualität.
Im weiteren Vorrücken der Kampftruppen zogen auch diese Nachschubverbände am 8. Mai nach Gürth, Raun, Brambach und Fleißen wieder ab. Nun waren für einige Zeit keine Soldaten mehr im Ort. Aber bereits jetzt machten sich in Asch Ziviltschechen bemerkbar, die daran erkenntlich waren, dass sie lediglich mit einer leeren Aktentasche vom Bahnhof kommend, die Hauptstraße bevölkerten. Diese Leute wussten durch die Potsdamer Beschlüsse von der Vertreibung aller Deutschen aus der ČSR und meistens waren es Abenteurer oder Arbeitsscheue, die sich zu bereichern suchten, was ihnen schließlich oft auch gelang.
Als nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht die einzelnen Besatzungszonen bestimmt waren, kamen wieder amerikanische Soldaten nach Niederreuth, quartierten sich bei uns im großen Gastzimmer ein und versahen den Grenzschutzdienst. Am Oberreuther Weg wurde zu diesem Zweck ein primitiver Schlagbaum errichtet und mit einem ständigen Posten besetzt. Auch beim Haus Nr. 50 stand ein solcher Posten, für welchen bei der Einmündung der Ascher Straße ein Wachhäuschen aufgestellte war. Ebenso bewachte ein Posten den Ortsausgang nach Neuberg.
Am 25. Mai erfolgte die Besetzung des Ascher Kreises durch tschechisches Militär und die rotweiße Fahne mit dem blauen Spitzkeil am oberen Ende flatterte auf dem Bismarckturm am Hainberg. Damit hat die Tschechen Herrschaft mit ihren grausamen, unmenschlichen Auswirkungen ihren Anfang genommen.
Die Gemeindeverwaltungen wurden ihrer Funktionen enthoben und als Gemeindeoberhaupt für Niederreuth wurde der frühere Finanzer aus Oberreuth Josyfek bestellt. Dieser war zu jener Zeit, als das Sudetenland noch der Tschechei eingegliedert war, in Oberreuth stationiert und kannte daher die Verhältnisse in unserem Ort sehr gut. Als amtliches Organ der nunmehr wieder errungenen Tschechen Herrschaft amtierte er vorläufig im Haus Nr. 70 des letzten Bürgermeisters von Niederreuth. Bald aber verlegte er seinen Amtssitz in unser Haus und es musste zu diesem Zweck das Fremdenzimmer neben dem Bad geräumt werden. Kurze Zeit darauf wurde der Amtssitz abermals verlegt in das Haus Nr. 116 des Albin Meier bis zu unserer Austreibung am 24. Juli 1946.
Noch waren aber amerikanische Truppen im Ascher Kreis und in unserem Ort befand sich eine Grenzwache von 9 Mann. Der kommissarische Bürgermeister Josyfek konnte seine Amtsgewalt gegenüber den Ortsbewohnern nicht zur Geltung bringen, denn jede geringste Schikane hätte die Amerikaner auf den Plan gerufen. Es ging denn alles auch so ziemlich ruhig vonstatten. Als Kanzleikraft im Gemeindeamt fungierte Frau Ida Besenreuter, die bereits seit längerer Zeit während der Kriegsjahre die Gemeindeschreibarbeiten besorgte. Sie war eine Tochter des letzten Bürgermeisters Wenzel Heinrich, der zur Wehrmacht eingezogen worden war. Als Gemeindediener waren nacheinander zwei Personen bestellt, die für ihre kommunistische Haltung bekannt waren. Durch sie erhielten die tschechischen Behörden Namenslisten von deutschen Parteimitgliedern. So hatten die Tschechen nicht nur in unserem Ort Handlanger gefunden, die ihre deutschen Mitbürger lediglich wegen ihrer Parteizugehörigkeit zur Meldung brachten. Durch diese Listen der Parteizugehörigkeit wurde den Tschechen für die später begangenen Schikanen und Unmenschlichkeiten von eigenen Volksgenossen genügend vorgearbeitet. Vermutlich erhofften sich die Denunzianten von den Tschechen besondere Begünstigungen und glaubten, dass sie das drohende Schicksal der Austreibung nicht treffen würde.
Die Diktatur des Dritten Reiches war nun schon seit der Kapitulation vorbei, wurde aber durch eine noch schrecklichere abgelöst. Zunächst war allen Deutschen durch Verlautbarung vom 7. August 1945 aufgetragen, am rechten Oberarm eine gelbe Binde aus Stoff in vorgeschriebener Größe anzulegen, damit die Deutschen von anderen Nationalitäten schon von weitem zu unterscheiden waren. Es leuchtete nur so von gelben Armbinden in allen Orten. So konnte man aber auch schon feststellen, wie viele Tschechen sich im Kreis Asch bereits ansässig gemacht hatten. Wehe dem Deutschen, der versehentlich außerhalb seiner Wohnung ohne eine solche Armbinde angetroffen wurde! Er machte sich sofort straffällig und kam auf die schwarze Liste.
Ab dem 1. August 1945 erfolgte der Umtausch der bisher geltenden Reichsmark in tschechische Kronen mit dem Kurs: 1 RM = 10 Kc. Von dem neu umgetauschten Geld erhielt jede Person nur so viel, wie sie für den Lebensunterhalt brauchte. Das andere wurde zurückgehalten und nur im Falle von Bedürftigkeit konnte über ein besonderes Ansuchen eine Ausnahme erreicht werden. Trotzdem arbeiteten alle Deutschen unentwegt weiter in den Fabriken und Werkstätten und auf dem Lande tat jeder Bauer seine Arbeit in der Bewirtschaftung der Felder, um der Ablieferungspflicht seiner Erzeugnisse gerecht zu werden. Der Gasthausbetrieb war in allen drei Wirtschaften nahezu stillgelegt, weil sich niemand mehr nach 9 Uhr im Gasthaus aufhalten durfte. Außerdem hatten die Deutschen kein Geld mehr dazu und die Tschechen wollten doch keinesfalls einen deutschen Wirt unterstützen.
In Asch hatten sich in den Fabriken und sonstigen Geschäften so genannte Verwalter (spravce) eingenistet und der frühere Inhaber durfte nur noch wie jeder andere Arbeiter in seinem Betrieb bleiben.
Mit den amerikanischen Soldaten, die immer noch bei uns einquartiert waren und den Grenzdienst besorgten, lebten wir in gutem Einvernehmen und es gab keinerlei Zwischenfälle. Für geringste Gefälligkeiten konnte man von ihnen manch guten Bissen in Form von Fleisch oder Konserven erhalten. Auch hatte es an prima Zigaretten keinen Mangel. Einer dieser Soldaten, ein Mexikaner, war ein ausgesprochener Wildschütze und nicht selten brachte er ein Reh, das wir für die Soldaten zubereiten mussten. Natürlich fiel auch für uns bei solchen Gelegenheiten eine gute Portion ab, denn die Soldaten beanspruchten für sich nur den besseren Teil des Fleisches ohne Knochen. Alles Übrige wurde von uns verwertet und war sehr wertvoll, denn für uns Deutsche gab es zu dieser Zeit kein Fleisch mehr. Noch heute können wir die Haltung der Soldaten hervorheben, obwohl sie doch unsere Feinde waren.
Am 1. September 1946 zogen die amerikanischen Truppen von Asch ab und damit war auch die Einquartierung bei uns zu Ende. Sie hatten uns bereits vorher aufmerksam gemacht, dass wir unsere Heimat verlassen müssten und sich sogar angeboten, unsere notwendigsten Dinge über die Grenze nach Bayern zu bringen. Dies wäre ein Leichtes gewesen, aber an eine Vertreibung aus der Heimat konnten wir nicht im Geringsten glauben, obwohl immer wieder einmal davon die Rede war.
Am 7. November wurde das Aufziehen der sowjetischen Fahne an der deutschen Turnhalle in der Turnergasse befohlen und auf dem Hainberg wehte die tschechische Fahne. Am 11. November erfolgte die Ausgabe des neuen tschechischen Geldes.
Durch die tschechische SNB wurden im ganzen Dorf Hausdurchsuchungen durchgeführt und dabei an Wäsche, Kleidern und Schuhwerk so viel mitgenommen, dass ganze Lastautos voll damit beladen nach Asch abtransportiert wurden. Alle Radioapparate mussten an das Postamt in Asch abgeliefert werden. Unser Radiogerät hatten aber die Amerikaner im Gebrauch und deshalb blieb es von der Konfiskation bewahrt. Später wurde es aber vom kommissarischen Bürgermeister Josyfek übernommen. Schreibmaschinen, Fahrräder und Nähmaschinen mussten ebenfalls abgegeben werden und wurden in unserem großen Gastzimmer gesammelt.
Eines Tages holte man die von den Gemeindedienern denunzierten Parteimitglieder in unserem Gasthaus zusammen. Sie wurden einzeln verhört und nach Asch ins Lager abgeführt. Allen Landwirten wurde für die Erzeugung ihrer Produkte ein Ablieferungssoll vorgeschrieben, das genauestens eingehalten werden musste. Für das Ausdreschen der Körnerfrüchte war zur Überwachung eine Militärperson bestellt - von uns “Drescherfranz” genannt. Dieser hat die Drescharbeiten der Reihenfolge nach bestimmt und beaufsichtigt, wobei ihm der Gemeindediener behilflich war. Beide nützten ihre Funktion dazu aus, von den Bauern kostenlose Lebensmittel für ihren eigenen Bedarf zu fordern.
Inzwischen waren auch wieder Lebensmittelkarten in tschechischer Sprache eingeführt, die so genannte “Judenkarte”, denn für Deutsche gab es keine Zuteilung an Fleisch, Zucker, Butter, Fett und Milch.
Durch Dekret des Staatspräsidenten Benes waren die Deutschen seit 5. Mai 1945 rechtlos geworden. Durch ein weiteres Dekret war die Beschlagnahme des gesamten deutschen Grundbesitzes und Vermögens zu Gunsten des tschechischen Staates verfügt worden. Demzufolge musste jeder Hausbesitzer für die Nutzung seiner eigenen Wohnung eine von der Gemeindeverwaltung vorgeschriebene Miete bezahlen.
Eines Tages im Herbst kam in den Abendstunden ein ziemlich korpulenter Tscheche zu uns und wir konnten seinen wenigen deutschen Worten entnehmen, dass er übernachten wollte. Durch seine knallrote Krawatte war uns sofort seine politische Einstellung klar. Sein Name war Rimesch und er machte uns deutlich, dass ein Verwandter von ihm sogar Bischof sei. Dies war der erste Tscheche, der sich in Niederreuth ansässig machte und als Verwalter der beiden Mühlenbetriebe Riedel und Patzak in Funktion trat. Seine Frau und ein Kind folgten ihm nach und er bezog das Haus Nr. 114 des Julius Fuchs, nachdem er die Räumung dieses Hauses veranlasst hatte.
Der Winter verging ohne besondere Ereignisse und wir hatten uns einigermaßen mit unserem Schicksal und den neuen Verhältnissen abgefunden, ohne jedoch zu ahnen, was uns noch bevorstehen sollte. Tschechische Soldaten, die in Asch stationiert waren und in der Umgebung übten, kehrten öfter bei uns ein oder hielten kurze Rast. Dabei gab es keinerlei Schwierigkeiten, denn sie bezahlten die ihnen ausgeschenkten Getränke immer anstandslos. Auch die früheren Finanzer kamen auf ihren Kontrollgängen ab und zu in unser Haus und sie waren es, die uns schon damals darauf hinwiesen, dass wir alle von Haus und Hof fort müssten und nur 75 kg Gepäck (später nur 50 kg) und 1000.– RM mitnehmen dürften.
Dennoch konnten wir die Verwirklichung eines so unmenschlichen Planes nicht für möglich halten. Als jedoch in Asch am 26. Februar 1946 der erste Transport für diese Austreibung zusammengestellt wurde, gab es keinen Zweifel mehr, dass auch uns eines Tages ein solches Schicksal bevorstehen würde. Es galt nun die weitere Entwicklung abzuwarten und die gewohnte Arbeit ging, wenn auch lustlos und fast schon verzweifelt, weiter.
Die Transporte wurden in Abständen von 10 bis 14 Tagen fortgesetzt, wobei immer ca. 1200 Personen einberufen wurden, die sich mit ihren zugelassenen Habseligkeiten von 50 kg im Sammellager des Fabrikgebäudes Heller und Askonas einzufinden hatten.
Angesichts dieser unfassbaren Vorgänge wollten nun viele der noch nicht Betroffenen das notwendigste und lieb gewonnene Eigentum über die Grenze in Sicherheit bringen, denn alles, was die erlaubten 50 kg überstieg, wurde bei der Einlieferung in das Sammellager konfisziert. Demzufolge setzte meist in den Nachtstunden ein lebhafter Grenzverkehr nach Bayern und Sachsen ein. So wurden Kleider, Möbel, Werkzeug und andere Gegenstände über die Grenze „gepascht” und bei Bekannten vorübergehend abgestellt. Trotz strenger Bewachung der Grenze konnten auf diese Weise viele Wertsachen und Gebrauchsgegenstände vor dem Zugriff der tschechischen Eindringlinge in Sicherheit gebracht werden. Es wurden aber auch viele „Pascher” erwischt, ihr Hab und Gut beschlagnahmt und sie selber mit hohen Geldstrafen belegt. Neben dem „Paschen” versuchte man auch, wertvolle Habseligkeiten in den Häusern zu verstecken oder an einem sicher geglaubten Ort zu vergraben - leider letztlich vollkommen vergeblich. Auch ich hatte in unserer Scheune ein tiefes Loch ausgehoben und darin allerhand Hausrat verstaut und wieder sorgfältig abgedeckt. Es wurde niemals wieder etwas gefunden.